Telekommunikation mal ganz anders

Ein Beitrag von Benjamin Weiß (Freie Waldorfschule Everswinkel)

Eurythmisch Wörter geschickt

Wie kann man ein Wort über ein paar hundert Meter weiterleiten ohne zu sprechen – oder ein Smartphone zu benutzen? Es ist der 12. März. Der dichte Nebel der frühen Morgenstunden hat sich verzogen, so dass die neunte Klasse das Experiment starten kann. Eurythmisch telegrafieren. In der Eurythmie können bekanntlich Buchstaben bewegungskünstlerisch dargestellt werden. Telegrafieren bedeutet „Fernschreiben“. Gerade war in der Medienkunde die Geschichte der Telekommunikation Thema.

Geflügelte Türme!

Vor 230 Jahren hatte man noch nicht verstanden, wie man elektrischen Strom nutzen konnte. Es gab folglich auch noch kein Kabelnetz, um Botschaften zu verschicken. Dennoch war das Interesse daran groß – und tatsächlich gab es damals eine Methode, ganz ohne Strom zu telegrafieren: schneller als jeder Bote und jedes Pferd laufen konnte, ja sogar schneller als Brieftauben. Geflügelte Türme! Claude Chappe hieß der Erfinder des Systems, bei dem Ketten von Türmen, im Abstand von jeweils zwölf Kilometern, gebaut wurden. Oben auf jedem Turm erhob sich ein Mast, an dem mittels Seilzug Flügel entfaltet wurden. Mit der Stellung der Flügel, die denen von Windmühlen ähnelten, wurden Buchstaben dargestellt – natürlich mit gänzlich verändertem Aussehen. Der Turm am Anfang der Kette gab die Buchstaben vor, die nächsten schickten sie weiter – bis zum letzten Turm. Abgelesen wurden die Signale von einem Posten mittels Fernrohr, ein Kollege stellte den Buchstaben ein. Die Übertragung eines Buchstabens von Paris nach Lille dauert 1792 zwei Minuten – eine Strecke von 270 Kilometern über 22 Türme. Vorausgesetzt, jeder Fernrohrgucker hielt immer aufmerksam Ausschau – und der Kollege stand unten Gewehr bei Fuß. Pinkel- und Kaffeepausen konnten empfindliche Störungen im Netz verursachen.

Der Wettbewerb

Ob aus den Jungs und Mädchen der Klasse 9 ebenfalls gute Telegrafisten hätte werden können? Sie beantworten diese Frage eindeutig: Zwei Gruppen treten gegeneinander an. Die Aufgabe: Ein zuvor geheimes Wort von der Sporthalle am Hollerbusch und Eurythmiegebäude vorbei bis hoch zum Kreisel jenseits des Oberstufengebäudes zu telegrafieren. Mit Eurythmie. Der erste Buchstabe wird abgeschickt und ich eile zum Ziel, um feststellen, wann wohl die ganzen Wörter eintreffen werden. Ich nehme den direkten Weg über den Parkplatz. Die telegrafierten Worte kommen schon kurz nach mir dort an – obwohl die Strecke, über die sie geschickt wurden, deutlich länger ist. Zwar sind beide nur kurz: „Horst“ (ein paar Sekunden schneller am Ziel) und „Kugel“, doch ist die Geschwindigkeit dieser einfachen Telegrafie beeindruckend. Experiment gelungen. 

Benjamin Weiß (Lehrer Redakteur)

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